Teil 1: Bananen, Salz und tote Fische
Wer etwas übrig hat für Marodes und Skurriles, wer keine Angst vor Orten hat, die man durchaus als creepy bezeichnen kann, der wird an einem Ausflug zur Salton Sea in der kalifornischen Wüste sicher Gefallen finden.
Nur einen Katzensprung vom Joshua Tree National Park entfernt, lässt sich das Gebiet mühelos in kurzer Zeit erreichen. Es liegt sozusagen am Weg, wenn man von Los Angeles aus auf der I-10 Richtung Osten unterwegs ist. Idealer Übernachtungsort für den Salton Sea ist das kleine Städtchen Indio am Schnittpunkt der I-10 mit dem Highway 86 gelegen.Gute 900 Quadratkilometer groß ist der größte See Kaliforniens, den es eigentlich gar nicht geben dürfte. Seine Existenz verdankt das Gewässer einem „Unfall“ - so zumindest könnte man das nennen, was da zu Anfang des vorigen Jahrhunderts vor sich geht.
Der See liegt im Imperial Valley, einstmals ein fruchtbares Tal, dem aber im Jahr 1905 das Wasser ausgeht, weil der zuständige Kanal nicht mehr genügend vom kostbarem Nass aus dem Colorado River ins Tal leitet. Eigentlich würde der Colorado auf natürlichem Wege dem Tal ausreichend Wasser spenden, denn er verlegt sein Flussbett in regelmäßigen Abständen ins Imperial Valley. Leider geschieht das seit Urzeiten nur alle 400-500 Jahre. Und so lange wollte man partout nicht warten damals im Jahr 1905, als der schon vorher gestartete Versuch mit dem Imperial Valley Canal zu scheitern droht. Kurz entschlossen baut man also neue Wasserwege zwischen Colorado River und dem durstigen Tal. Man schneidet regelrechte Kerben ins Ufer des Flusses, durch die das Wasser direkt ins Tal geleitet wird. Nur leider hat man sich etwas verschätzt, was die Menge angeht. Der clevere Colorado ergreift flugs die Gelegenheit ein paar hundert Jahre zu sparen. Seine Wassermassen brechen die Kerben auf fast einem Kilometern Länge auf, was ausreichend ist, sein gesamtes Wasser, von dem gerade ziemlich viel vorhanden ist, ins tiefer gelegene Imperial Valley zu schicken. Zwei Jahre lang tut er das ungehindert. Man kann sich vorstellen, dass da eine Menge zusammen kommt. Erst 1907 gelingt es, die Fluten einzudämmen und den vorwitzigen Fluss in sein altes Bett zu verweisen.
In dieser Zeit hatte sich längst der heutige Salton Sea in diesem tief in der San Andreas Fault gelegenen Gebiet breit gemacht. Bei der Gelegenheit hat der Colorado auch gleich die ehemalige Ortschaft Salton, nach dem das Gewässer benannt ist, verschluckt. Man kann allerdings rechtzeitig evakuieren. Der See liegt unter Meereshöhe, ziemlich genau 72 Meter darunter und nur fünf Meter höher, als der „Tiefpunkt“ des Kontinents im Death Valley bei Bad Water. Sonderlich tief ist er nicht, ca. 13 Meter mit abnehmender Tendenz. Mag sein, dass er irgendwann wieder verschwindet, aber das dauert noch eine ganze Weile. 15 Meilen misst der See in der Breite und ca. 35 Meilen in der Länge. Einen Abfluss hat er nicht und einen Zufluss auch nicht. Ein stehendes Gewässer also. Mit all den Problemen, die damit verbunden sind. Rund um den See wird Landwirtschaft betrieben, die Abwässer inclusive Dünger gelangen ins eh schon mit Algen verseuchte Wasser. Dazu kommt der steigende und inzwischen extrem hohe Salzgehalt, unter anderem hervor gerufen durch den schon immer salzhaltigen Untergrund des Imperial Valley. Mittlerweile ist das Wasser dort salziger, als natürliches Meerwasser. All das führt zu massenhaftem Fischsterben. Die Ufer sind an manchen Stellen mit toten Fischen regelrecht gepflastert. Kein schöner Anblick, auch kein schöner Geruch. Es gibt seit Jahren eine Reihe von Initiativen verschiedener Gruppierungen, den See zu retten. Ob es gelingt, wird man sehen.
Heutzutage sind der See und seine Ansiedlungen bei Weitem nicht mehr so attraktiv, wie sie es in den 1950er und 1960er Jahren einmal waren. Damals entwickelt sich die Region zu einem Resort Area, in Ortschaften wie Salton City, Salton Sea Beach, Desert Shores, North Shore oder Bombay Beach werden Hotels und die dazu gehörige Infrastruktur gebaut. Jede Menge Wochenendtouristen, meist aus dem Großraum Los Angeles, verbringen ihre Freizeit an den Ufern des Salton Sea. Selbst Hollywood Stars und Sternchen sind in größerer Zahl vertreten. Doch das währt alles nicht lange. Mit zunehmender Verschmutzung durch Dünger, Algen und Bakterien, wird die ehemalige Ferienregion zu einem nach faulen Eiern stinkenden Gewässer, das seine faulen Gase in Form von Schwefelwasserstoff bis nach Los Angeles sendet. Schwimmen oder Surfen geht gar nicht. Bootfahren nur bedingt oder mit viel Mut. Absaufen möchte man in dieser Brühe eher nicht.
Warum sollte man sich also Salton Sea antun? Na ja, wie oben schon gesagt. Marodes und Skurriles. Tote Fische, Mud Pots, Hippies, alles da. Fahren wir doch mal hin.
Wir starten unseren Trip in Indio. Da gibt‘s ein paar alte Motels und Neons anzuschauen, die sich bei Dunkelheit immer noch ganz gut machen. Erinnert ein bisschen an die Route 66. Der Highway 86 führt uns nach Mecca. Dort zweigt die 111 ab, auf die wir nach links einbiegen und Kurs auf das Nord-Ostufer des Sees nehmen. Man kann auch schon in Indio auf die 111 fahren, sie verläuft parallel zur 86, das bleibt sich am Ende gleich.
Beim Boost Mobile Store begegnen wir mal wieder einem Muffler Man, diesmal kommt er als gigantischer Cowboy daher. Wir kennen solche Figuren ja schon von der Route 66. Ist recht fotogen, besonders im Abendlicht. Eigentlich müsste er was in den Händen halten, aber das Teil fehlt oder wird gerade erneuert.
Mecca beherbergt eine weitere „Attraktion“ in Form des International Banana Museum, das kurioserweise etwas außerhalb am Grapefruit Boulevard - so heißt die 111 hier - liegt. Wie gesagt, es gibt Skurriles zu sehen am Salton Sea. Das natürlich in Chiquita-Gelb gehaltene Gebäude ist auf der rechten Seite gar nicht zu übersehen. Schon auf dem Parkplatz vor dem flachen Bau werden wir von der ersten Banane begrüßt. Die sitzt da so auf einem Klappstuhl in der Sonne herum. Schauen wir also mal rein. Abenteuerlich, was man da alles an Kitsch zusammen getragen hat. Allerdings muss man anerkennen, dass tatsächlich jedes Stück „Banane ist.“ Mal mehr, mal weniger.
Ein paar Meter weiter den Grapefruit Boulevard hinunter sieht man rechter Hand die Ruinen der Toro Loco Carniceria und der davor befindlichen Tankstelle. Das GAS Schild ist etwas verblasst, hat aber standgehalten, genau wie das Schild vor der Metzgerei. Ein Public Phone, das noch vor nicht allzu langer Zeit vor der Mauer stand, ist inzwischen abmontiert, nur die kümmerliche Säule hält die Stellung. Nirgendwo steht No Trespassing, also kann man sich die Überreste etwas genauer anschauen, so man für derartige Dinge Interesse hat.
Die nächste Straße rechts (Marina Drive) bringt uns zum North Shore Beach and Yacht Club, von dessen ehemaliger Pracht kaum etwas übrig ist, obwohl die Anlage 2010 restauriert worden ist. Ein bisschen Betrieb herrscht dort immer noch. Man fragt sich, was die Leute hier machen. Boot fahren? Eher nicht. Schwimmen? Ganz sicher nicht. Angeln? Um Gottes Willen. Außerdem liegen die toten Fische hier überall herum. Fauliger Fischgeruch liegt in der Luft. Kein Ort, an dem man lange verweilen mag. Auch nicht, obwohl Nancy Sinatra hier dereinst die Hüften geschwungen haben soll.
Inzwischen den Abrissbaggern zum Opfer gefallen ist die weiße Schachtel - so zumindest sah das Gebäude mal aus - eines Cafés, an dessen Dachbalken man noch die Aufschrift Beer & Bait erkennen konnte. An der Rückwand fanden sich diese aufgeklebten Werbeplakate.
Also weiter nach Bombay Beach. Die kleine Siedlung North Shore, die man über die Mecca Avenue erreichen kann, kann man getrost auslassen. Es gibt nicht viel zu sehen dort. Dahinter erstreckt sich auf 14 Meilen das Salton Sea State Recreation Area. Recreation? Lieber nicht.
Bombay Beach - das war damals in den 1950er und 1960er Jahren ein blühendes Resort. Schwimmen, Wasserski, Golf. Ein Yacht Club. Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man heute hierher kommt. Bombay Beach hat schon fast apokalyptische Züge. An der Einfahrt wird man von einem noch gut erhaltenen Schild mit Welcome to Bombay Beach begrüßt. Macht sich prima als Fotomotiv, morgens und abends besonders. Direkt daneben weist das Salton Sea Recreation Area Schild die mutigen Erholungsuchenden immer noch auf den nahe gelegenen Campground samt Picknick Area hin.
Wir trauen uns also weiter, entlang der Avenue A. Nach ein paar hundert Metern zeigt sich eine Spur von Leben. In Form eines alten, rostigen Neons, das für das SKI INN Reklame macht. SKI für Wasserski. Für die örtlichen Verhältnisse ist das Ding noch recht gut erhalten. Man kann dort essen und trinken. Die Briefkästen davor bezeugen, dass hier noch Menschen leben. Etwa 250 sollen es sein. Keiner lässt sich blicken. Gut so? Vielleicht. Dahinter der Bombay Market. Beer, Groceries und so. Kann sein, dass er auf hat, kann auch nicht sein. Wir probieren es nicht aus. Aber in Betrieb ist er.
Übrigens, Hans Petersen scheint nicht sehr beliebt zu sein in Bombay Beach. Do not hire this man. Never finish anything he starts, WILD MAN. Do not hire him. So jedenfalls steht es geschrieben auf einem großen Stück Papier, das sicher Hans Petersen‘s „bester Freund“ an eine Mauer gepinnt hat. Keine Ahnung, wer Hans Petersen ist, aber wir werden ihn natürlich nicht engagieren. Für was auch? Who knows.
Bombay Beach ist ein Quadrat - ein Quadrat des Verfalls. Marode Häuser, Ruinen, ein paar sind bewohnt und etwas besser in Schuss, aber nur ein paar. Autos stehen daneben, Fahrräder, Golf Karts, man lebt hier irgendwie. Man lebt mit dem Verfall, mit dem allgegenwärtigen Schrott, dem Gestank aus dem See. Den Trümmern am Ufer. Hier liegt alles mögliche an Gerümpel herum. Die unvermeidlichen toten Fische natürlich. Ein Bootswrack, an bessere Zeiten erinnernd, auf den Felsen aufgebockt. Unwirklich und unheimlich das Ganze. Wie eine Filmkulisse für Stephen Kings neuesten Horrorroman. Wer traut sich im Dunkeln hierher? Wir sind nur einem Menschen begegnet und der war von auswärts. Er hat fotografiert. Wie wir. Bombay Beach im frühen Sonnenlicht. Muss man gesehen haben.
Es gibt einen Film über das Leben in Bombay Beach. Musik von Bob Dylan. Hier der Trailer: Klick
Lohnt sich anzusehen. Amazon hat ihn. Oder hier: Klick
Die Jungs, die diesen kurzen Film produziert haben, haben sich in einige Häuserwracks gewagt und gefilmt. Auch sonst vermittelt die Viertelstunde einen guten Eindruck von Bombay Beach today.
Zurück zum Highway 111, dem Grapefruit Boulevard. Haben wir schon erwähnt, dass auch hier die Eisenbahn, genauer gesagt die BNSF mit ihren endlosen Güterzügen allgegenwärtig ist? Die Schienen verlaufen parallel zur Straße, wie wir es von der Route 66 kennen. Und genau so laut tuten die schweren Dieselloks bei jeder Gelegenheit.
Bei Sonnenuntergang liegt eine seltsame Atmosphäre über See und Strand. Auch das Licht ist „anders“ - irgendwie passt es zu diesem Ort.